Mahnwache #NieWiederIstJetzt
Rund 150 Teilnehmer trafen sich am Holocaust Gedenktag zum gemeinsamen Gedenken und im friedlichen Protest gegen Antisemitismus.
Vor dem Seevetaler Rathaus in Hittfeld versammelten sich am Samstag, den 27. Januar 2024 rund 150 Teilnehmer zu einer bewegenden Mahnwache gegen Antisemitismus. Die Veranstaltung wurde von den demokratischen Parteien CDU, Bündnis90/Die Grünen, Die Linke, FDP, Freien Wähler und SPD aus Seevetal initiiert.
Die Mahnwache wurde von Pastor Henning Seifert aus Meckelfeld mit einer mahnenden Rede eingeleitet. Danach sprach Viviane Fux aus Ramelsloh über ihre Familie, deren Geschichte die Teilnehmer tief berührte. Ihre Rede finden Sie untenstehend zum Nachlesen.
Im Anschluss folgten Ansprachen der SPD Bundestagsabgeordneten Svenja Stadler und des CDU Landtagsabgeordneten Bernd Althusmann.
Die Mahnwache diente nicht nur dem gemeinsamen Gedenken, sondern auch als Ausdruck eines entschiedenen und friedlichen Protestes gegen
Antisemitismus. Die Teilnehmer setzten damit ein klares Zeichen für Toleranz, Vielfalt und ein respektvolles Miteinander.
Rede von Viviane Fux:
Ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus
Der jüdische Belgier Georges, im Oktober 1911 geboren, verbrachte lange Zeit in Kriegsgefangenschaft im Konzentrationslager.
Da er seinen mosaischen Pass nicht bei sich trug, wurde er nicht als
Jude erkannt. Aufgrund seiner vielfältigen Sprachkenntnisse wurde er als
Dolmetscher eingesetzt.
1943 konnte er fliehen und wurde in Österreich von Bauern bis Kriegsende versteckt gehalten.
Er schloss sich den Amerikanern an und war bei der Befreiung des KZs
Mauthausen in Österreich dabei, und er hat Schreckliches,
Unvorstellbares gesehen.
Danach begab er sich zusammen mit Simon Wiesenthal auf Nazi-Jagd,
vornehmlich in Krankenhäusern, in denen Nazis durch ihre
SS-Tätowierungen unter dem Arm identifiziert werden konnten.
Simon Wiesenthal war ein österreichisch-jüdischer Architekt, Publizist
und Schriftsteller. Als Überlebender des Holocausts machte er nach
seiner Befreiung aus dem KZ Mauthausen im Mai 1945 die „Suche nach
Gerechtigkeit für Millionen unschuldig Ermordeter“ zu seiner
Lebensaufgabe.
Insgesamt wurden 13 Angehörige von Georges in Auschwitz und Treblinka
vergast. Bei den Nürnberger Prozessen hatte Georges, ein Überlebender,
als Dolmetscher mitgewirkt.
1948 heiratete er die Deutsche Helene in Bremen. Helenes Vater war ein
Nazi und für Georges war die Situation als ausländischer und jüdischer
Schwiegersohn nicht einfach. 1958 kam die erste Tochter auf die Welt.
Diese Tochter bin ich. Meine Mutter hatte damals den Arzt angefleht, in
meiner Geburtsurkunde nicht die Religion meines Vaters anzugeben –
vergeblich - und somit steht in meiner Geburtsurkunde: „Vater Georges,
mosaisch“.
Die Angst meiner Mutter vor den Nazis - obwohl nicht jüdisch und nicht
religiös - hatte sie viele Jahre unterschwellig begleitet. Und jetzt ist
sie wieder da, diese Angst. Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich nicht
mehr sicher in Deutschland. Sie haben Angst auf die Straße zu gehen und
ihre Kinder in die Schulen zu schicken.
Häuser werden wieder mit Hakenkreuzen gekennzeichnet. Der
Antisemitismus wächst. Bei vielen älteren Bürgerinnen und Bürgern, die
den zweiten Weltkrieg miterlebt haben, kommt die Erinnerung an den
Nationalsozialismus wieder hoch. Die Geschichte darf sich nicht
wiederholen, nie wieder darf es einen Holocaust geben!
Was unterscheidet denn die Juden von anderen Menschen?
Das Judentum gehört mit dem Christentum, dem Islam, dem Hinduismus und
dem Buddhismus zu den Weltreligionen. Aber warum konzentrieren viele
Menschen – Gläubige und Nichtgläubige – ihren blinden Hass so sehr auf
die Juden?
Manche von ihnen kennen nicht einmal einen einzigen Juden, trotzdem
verurteilen sie diese Menschen, bedrohen sie und üben Gewalt gegen sie
aus.
Wir dürfen keinen Antisemitismus in unserer Gesellschaft dulden.
Nie wieder ist jetzt!
Ich
wünsche mir Menschen, die ihre Religionen friedlich ausüben und an
einen Gott des Friedens und nicht an einen Gott des Zornes und Krieges
glauben.
Ich wünsche mir Menschen, die reflektieren und hinterfragen und kritischen Auseinandersetzungen nicht aus dem Wege gehen.
Ich wünsche mir Menschen, die Recht von Unrecht zu unterscheiden wissen
und Zivilcourage zeigen, wenn Jüdinnen und Juden bedroht werden.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die sich auf Gemeinsamkeiten
konzentriert und nicht auf Ungleichheiten, die sich auf das Miteinander
besinnt und nicht auf das Gegeneinander.
Ich wünsche mir Offenheit und Neugierde gegenüber dem Unbekannten anstatt
grundsätzlicher Ablehnung. Ich wünsche mir Frieden in den Köpfen der
Menschen und in ihren Herzen – möge endlich dieser unreflektierte Hass
und diese blinde Wut enden.
Jeder Mensch hat das Recht auf sein Leben und seine Religion – solange
er nicht Andere in ihren Rechten einschränkt, sie gefährdet, verletzt
oder tötet. Das ist in unserem Grundgesetz verankert.
Und jeder Mensch sollte das Recht auf Frieden haben, nicht nur hier in
Deutschland, sondern überall auf der Welt. Ich wünsche mir mehr
Menschsein mit Empathie, Rücksicht, Achtsamkeit, Toleranz und Respekt
anderen gegenüber.
Wir setzen heute ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus. Dafür
stehen wir alle hier. Wir dulden keinen Antisemitismus und wir wollen
nicht schweigen.
Nie wieder ist jetzt!
Ich wünsche mir endlich Frieden auf der Welt – SHALOM.
Viviane Fux, 12/2023