Er kommt gerade von einem Wahlkampfauftritt in Nienburg an der Weser und wird abends noch auf dem Hamburger Dom sprechen. Dann folgen Reisen nach ... Franz Müntefering zählt vor Pressevertretern in Hittfeld einige Städte auf, aber schon bald muss er seinen Referenten fragend anschauen. Er hat die Woche nicht genau im Kopf, ein Auftritt reiht sich an den anderen.

Umso größer ist die Ehre, dass der SPD-Parteichef der Einladung der Buchholzer Bundestagsabgeordneten Monika Griefahn gefolgt ist, und einen Auftritt in der Burg Seevetal in Hittfeld möglich macht. Rund 320 Zuhörer danken es ihm – und lassen sich begeistern von seinen Worten. Wer „Münte“ hört, erfährt, was Sozialdemokraten wirklich wollen und wofür sie stehen – fernab der Kompromisse, die sie in der großen Koalition machen müssen. Die Zuhörer verstehen, dass der Deutschlandplan von Frank-Walter Steinmeier eine Vision ist, wie Deutschland in zehn bis 20 Jahren aussehen soll. Er hat zum Ziel, die solidarische und gerechte Gesellschaft zu verteidigen und zu verbessern. Keine der anderen Parteien hat so einen Gesellschaftsplan überhaupt formuliert!

Monika Griefahn hatte schon in ihrer kurzen Einführungsrede kämpferische Worte gefunden und die Union und die FDP scharf angegriffen. „Wir Sozialdemokraten haben das Kurzarbeitergeld durchgesetzt, sonst wäre die Krise hier noch viel schlimmer zu spüren“, rief sie. Sie verwies auf den Wachstumssektor Erneuerbare Energien mit insgesamt 280.000 Arbeitsplätzen - ein Bereich, den die politischen Gegner zu Schröder-Zeiten noch belächelt hätten. Und sie war erbost über die Bildungspolitik in Land und Landkreis. „Gesamtschulen? Wir bräuchten mindestens drei im Landkreis, mit Ach und Krach bekommen wir eine! Ganztagsschulen? Der Bund hat Mittel zur Verfügung gestellt, das Land sich um seinen Anteil gedrückt! Wenn wir Kinder und Jugendliche gut ausbilden wollen, dann müssen wir hier anders agieren, dann müssen wir auch im Bund Schwarz-Gelb verhindern!“

Franz Müntefering ging in seiner Rede auf den Deutschlandplan ein, auf das, was in zehn Jahren Realität sein soll – und auf die Zahl von vier Millionen Arbeitsplätzen, die mit SPD-Politik bis 2020 geschaffen werden sollen. „Arbeit ist Voraussetzung für Wohlstand auf hohem Niveau. Und was wir gesagt haben ist, wir wollen alles dafür tun, dass diese vier Millionen Arbeitsplätze entstehen. Da kann die Kanzlerin nicht kommen und sagen, das ist unredlich. Das kann man ihr doch nicht durchgehen lassen,“ erboste der SPD-Parteichef sich. Er führte aus, dass zwei Millionen dieser Stellen in der produzierenden Wirtschaft entstehen sollen und dass der ökologische Industriesektor ein wichtiger Bereich davon ist. Hier hätte Deutschland einen Entwicklungsvorsprung, den es nutzen müsse. „Es gibt Länder, da scheint die Sonne häufiger als in Hittfeld, und denen müssen wir zeigen, wie sie erneuerbare Energien nutzen können.“

Eine weitere Million Arbeitsplätze solle im Bereich „Dienst am Menschen“ entstehen. Dazu gehörten Erziehung, Schulbildung und Pflege. Müntefering: „Nicht nur Kinder haben etwas mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun, oft geht es auch um Vater oder Mutter, die gepflegt werden müssen. Darauf müssen wir als Politik doch Antworten geben!“

Müntefering wirkt tief verärgert, wenn er über die Steuersenkungspläne der Union und der FDP spricht. „Was da gefordert wird, verändert die Handlungsfähigkeit des Staates brutal“, urteilt er und fordert statt dessen: „Wir dürfen uns die Idee des Sozialstaates nicht kaputt machen lassen. Ein Blick in die USA genügt um zu sehen, was ohne gesetzliche Krankenversicherung passiert. Die Sozialversicherungssysteme müssen solidarisch bleiben. Das sichert die Existenz, auch in der Krise.“

Der Parteichef schließt seine Rede mit einer deutliche Aussage zu Arbeitnehmerrechten wie Kündigungsschutz oder betriebliche Mitbestimmung. Die „stehen mit den Sozialdemokraten nicht zur Disposition, egal, was am 27. September passiert.“

Und auch eines vergisst Müntefering nicht: Er ruft die Zuhörer auf, ihrer örtlichen Abgeordneten Monika Griefahn die Erststimme zu geben, damit auch sie ihre Arbeit im Bundestag fortsetzen kann. Ihr Fachgebiet Medien und neue Medien werde immer wichtiger.

Immer wieder blitzt in der Rede des Parteivorsitzenden der „Münte“ durch, der sich mit kurzen knackigen Sätzen, einem Schuss Gelassenheit und einer Prise trockenem Humor die Herzen vieler Deutschen erobert hat. Für den Weg zur stärksten Kraft im Staate hat er eine ganz besondere Strategie: 1966 bis 1969 habe es schon einmal eine große Koalition gegeben. Umfragen hätten ein halbes Jahr vor der Wahl 45 Prozent für den Kanzler Kiesinger und 15 Prozent für den damaligen Außenminister Willy Brandt prognostiziert. Müntefering: „Wir wissen jetzt alle, wie das ausgegangen ist. Und wir machen es dieses Mal auch wieder über den Außenminister.“